Die Goethestraße und der Radverkehr
Seit Anfang August 2025 ist die Goethestraße nach einem Jahr Bauzeit für den Verkehr wieder freigegeben. Mir fällt es wirklich nicht leicht, eine abschließende Bewertung des Ausbaus der Goethestraße mit der neuen Radinfrastruktur abzugeben. Einerseits stellt der neue Zustand für Radfahrende eine dramatische Verbesserung gegenüber der alten Goethestraße dar, andererseits handelt es sich lediglich um Farbe. Bereits 2018 hat der ADFC-Bundesverband getitelt: „Farbe ist keine Radinfrastruktur!” und geschützte Radfahrstreifen statt Fahrbahnpinseleien gefordert. Geschützte Radfahrstreifen wurden im Koalitionsvertrag 2020 versprochen und sind auch im Wahlprogramm zur Kommunalwahl 2025 der SPD zu finden. Bis heute wurde jedoch kein einziger geschützter Radfahrstreifen umgesetzt. Die Goethestraße wäre eine Möglichkeit gewesen, einen solchen zu implementieren, aber leider ist hier (fast) nichts geschützt.
Breite der Radfahrstreifen
Laut ERA 2010 sollen Radfahrstreifen inklusive der Fahrstreifenbegrenzungen (Breitstrichmarkierung) 185 cm breit sein (Seite 24). Dieses Maß wird auf der Goethestraße auch eingehalten. Die ERA ist jedoch bereits 15 Jahre alt und wird derzeit überarbeitet. In der neuen ERA, die voraussichtlich 2026 erscheint, beträgt das Regelmaß für Radfahrstreifen 2,00 m + 25 cm Breitstrichmarkierung. Dies geht aus einem Vortrag hervor, den einer der Autoren der ERA auf einer Fachtagung der AGFS NRW gehalten hat. Auch in den ergänzenden Handlungsanleitungen zur Anwendung der RASt 06 der FGSV steht:
Abschnitt 6.1.7.4
Verbreiterung des Basisstandards für Radfahrstreifen von 1,60 m auf 2,00 m (zuzüglich
Breitstrich) sowie des Sicherheitstrennstreifens zu Parkständen von mindestens 0,50 m auf mindestens 0,75 m.
Diesen Anforderungen wird die Goethestraße nicht gerecht.
Goethestraße Richtung Süden
Goethestraße Richtung Norden


Linksabbiegen
Das Linksabbiegen erfolgt in Form des indirekten Zweiphasen-Linksabbiegens. Dabei queren Radfahrende zunächst die erste Fahrbahn geradeaus und erreichen eine markierte Aufstellfläche im Knotenpunktbereich. Von dort können sie sich in Fahrtrichtung des Querverkehrs ausrichten und auf das nächste Freigabezeichen der Lichtsignalanlage warten. In der Regel bedeutet dies, dass Radfahrende nacheinander zwei Signalphasen abwarten und somit gegebenenfalls zweimal an einer roten Ampel halten müssen. Das ist nicht die fahrradfreundlichste Lösung.
Überholabstände
Da ein Radfahrstreifen als Sonderspur nicht Teil der Fahrbahn ist, wird hier eigentlich nicht überholt, sondern die Autos fahren am Radverkehr vorbei. Muss hier überhaupt ein Abstand von 1,5 Metern beim Überholen eingehalten werden? Nach Meinung der Autofahrenden ist das nicht der Fall. Auf der Goethestraße wird dieser Abstand fortlaufend unterschritten. Wenn man Glück hat, fährt das Auto auf der linken Seite seiner Fahrspur, um ein wenig Platz zu schaffen.
Da die rechtliche Situation unklar ist, hat die Unfallforschung der Versicherer ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Dieses nimmt unter anderem Stellung zur Frage, ob beim Überholen von Radfahrstreifen der Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten ist. Darin heißt es:
Juristisch gesehen werden Fahrzeuge, die in gleicher Richtung einen Sonderweg befahren, nicht überholt, sondern es wird an ihnen vorbeigefahren. Allerdings bedeutet eine juristische Abtrennung nicht per se, dass der aus Sicherheitsgründen notwendige Seitenabstand beim Vorbeifahren geringer sein darf, als es beim Überholen der Fall ist.
Der Seitenabstand muss daher beim Vorbeifahren gemäß § 1 Abs. 2 StVO ebenfalls mindestens 150 cm betragen, damit kein Radfahrer konkret gefährdet werden kann.
Die Erfahrung sowie Messungen mit dem OpenBikeSensor zeigen, dass der Abstand von 1,5 m beim Überholen auf Fahrradstreifen viel häufiger nicht eingehalten wird als mit oder ohne Schutzstreifen. Das ist auf der Goethestraße nicht anders.
Fazit
Der Ausbau der Goethestraße ist zweifellos ein Schritt nach vorn. Radfahrende finden hier deutlich bessere Bedingungen vor als vor der Sanierung: mehr Platz, sichtbare Markierungen und zumindest der Anspruch, Radverkehr ernst zu nehmen. Gleichzeitig bleibt die Umsetzung hinter dem zurück, was planerisch möglich wäre. Geschützte Radfahrstreifen, klare Sicherheitsabstände und die bald als Standard geltenden Breiten wurden nicht realisiert.
Insofern bewegt sich die Bewertung zwischen Erleichterung und Enttäuschung: Wer die alte Goethestraße kennt, wird die neue kaum schlechtreden wollen – der Unterschied ist zu groß. Wer die aktuellen Standards und politischen Zusagen kennt, kommt aber nicht umhin, die Halbherzigkeit zu kritisieren. Diese Spannung führt schnell zu dem Vorwurf, man mache „alles schlecht“. Tatsächlich geht es jedoch nicht darum, Verbesserungen kleinzureden, sondern darum, deutlich zu machen: Eine deutliche Verbesserung ist noch lange keine optimale Lösung. Wer den Radverkehr wirklich sicher und attraktiv machen will, darf sich mit „Farbe statt Schutz“ nicht zufriedengeben.
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