Ankündigung von Geschwindigkeitsüberwachung durch die Stadt Hamm

Veröffentlicht von Walter am

Offener Brief an das Presseamt der Stadt Hamm 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Stadt Hamm veröffentlicht regelmäßig aktuelle Schwerpunkte der kommunalen Geschwindigkeitsüberwachung. Sinn und Zweck dieser Veröffentlichung erschließt sich mir nicht. 

In der Stadt wird viel zu schnell gefahren

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt auch unter günstigsten Umständen innerhalb geschlossener Ortschaften für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h, so §3 der Straßenverkehrsordnung. Leider ist eine Übertretung dieser Regel scheinbar zum Normalfall geworden. In den Städten wird viel zu schnell gefahren, dort wo 50 km/h erlaubt sind, wird häufig 60 km/h als normal angesehen und viele Autofahrenden fahren 40 km/h in Tempo-30-Zonen. Dies bestätigen auch neuere Untersuchungen zur gefahrenen Geschwindigkeit in Städten. Nach Auswertung von Daten des Navigationsanbieters TomTom stellt der SPIEGEL fest: 

“Viele Autofahrer in Deutschlands Städten interpretieren Geschwindigkeitslimits offenbar als grobe Richtgröße. Tempo 30 bedeutet vielerorts real Tempo 40; wo Tempo 50 gilt, wird oft zwischen 55 und 60 gefahren. Das jedenfalls zeigen Daten des Navigationsanbieters TomTom aus 40 deutschen Städten, die der SPIEGEL ausgewertet hat. Wenn die Straßen frei sind, vor allem nachts, sind etliche Autofahrerinnen und Autofahrer noch schneller unterwegs. In den Hauptstädten der Schnellfahrer wie Dresden, Halle (Saale) und Kiel fährt dann rund die Hälfte aller erfassten Autos mit mindestens 40 km/h durch Tempo-30-Zonen. Tagsüber sinkt der Anteil – offenbar auch, weil dichter Verkehr schnelleres Fahren verhindert.”

Blitzer

Auffällige Geschwindigkeitsmuster zeigen sich laut der Untersuchung bei fest installierten Blitzern: Ortskundige bremsen unmittelbar davor auf die erlaubte Geschwindigkeit ab und beschleunigen danach sofort wieder. 

Erhöhte Bußgelder helfen nicht

Obwohl seit November letzten Jahres höhere Bußgelder für Geschwindigkeitsübertretungen gelten, hat dies laut einer Untersuchung der Unfallforschung der Versicherer (UDV) nur wenig gebracht. Die UDV fordert daher die Kommunen und Polizei auf, die Überwachung weiter zu verstärken. Als großes Problem identifiziert die UDV dabei Radarwarnungen. „Wenn ein Viertel aller Kraftfahrer die Standorte kennen, können sie nicht ihre Sicherheitswirkung entfalten,“ sagte der UDV-Chef Siegfried Brockmann. Umso unverständlicher ist es, dass die Stadt Hamm solche Radarwarnungen selber veröffentlicht. Damit wird die Raserei in der Stadt aber nicht verhindert, diese Hinweise auf Geschwindigkeitskontrollen sind kontraproduktiv und tragen nicht zur Sicherheit der schwächeren Verkehrsteilnehmer bei.

Risiko für Fußgänger und Radfahrer steigt dramatisch

»50 fahren, wo nur 30 erlaubt sind, ist kein Kavaliersdelikt«, sagt Brockmann. »Da liegt die Grenze zwischen Leben und Tod.« Eine Sekunde sei eine kurze Reaktionszeit, wenn etwas Unvorhergesehenes passiere.

Tempo 30 gilt in der Regel innerhalb von Wohngebieten oder rund um Schulen, um den Straßenverkehr sicherer zu machen. Ein 30 km/h schnelles Auto kommt bei einem plötzlich auftretenden Hindernis bei idealen Bedingungen nach 13 Metern zum Stehen. Ein 50 km/h schnelles Auto legt während der Reaktionszeit von einer Sekunde 14 Meter zurück – ungebremst, und kommt erst nach 26 Metern zum Stehen.

Geschwindigkeit30 km/h40 km/h50 km/h60 km/h
Reaktionsweg9 m12 m15 m18 m
Bremsweg (Vollbremsung)4,5 m8 m12,5 m18 m
Anhalteweg13,5 m20 m27,5 m36 m

Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h in einer Tempo-30-Zone erhöht sich der Anhalteweg um mehr als das Doppelte, das Risiko für einen Fußgänger oder Radfahrer steigt dramatisch.

Viele Unfälle lassen sich durch Fahren mit einer angemessenen Geschwindigkeit vermeiden oder zumindest die Aufprallgeschwindigkeit und damit die Verletzungsschwere verringern. Ebenfalls steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit von Fußgängern bei niedrigen Kollissionsgeschwindigkeiten.

Dramatisch sieht die Situation aus, wenn man die Gefährdung in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit betrachtet. Wird einem Fahrzeug, das mit 30 km/h fährt, eine Gefährdung der Größe 1 zugeordnet, dann ist bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h die Gefährdung gleich fünfmal, bei 60 km/h fast zehnmal so groß.

Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 80 km/h ist die Gefährdung theoretisch 25 mal so groß wie bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 30 km/h. Es muss hier jedoch berücksichtigt werden, dass die Verletzungsschwere nach oben hin begrenzt ist. Ein Fußgänger kann maximal die Verletzungsschwere 6 (tödlich) erreichen.

Zu schnelles Fahren gefährdet Menschenleben. Indem die Stadt Hamm explizit vor den eigenen Maßnahmen zur Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit warnt, geht die Stadt wohl von der Vermutung aus, dass die vorgeschriebene Geschwindigkeit nicht der Normalfall ist, sonst müsste man nicht dafür sorgen, dass Zeitung und Radio die Autofahrer vor Blitzerfallen warnen. Im Grunde wird damit das zu schnelle Fahren als normal vorausgesetzt. 

Ankündigungen der Geschwindigkeitskontrolle gehören abgeschafft

Als Stadt werden Sie jetzt mit der Verwaltungsvorschrift zum OBG § 48.2 argumentieren. “Eine aktive abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit von Polizei und Kommunen entfaltet eine akzeptanzfördernde Wirkung der Maßnahmen. Besondere Bedeutung kommt der Ankündigung von Kontrollen und der Veröffentlichung von Messstellen zu. Hierdurch kann die Wirkung der Maßnahmen erhöht werden.” 

Es sei dahingestellt, ob dies wirklich wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Die Ankündigung müsste auch nicht mit dem exakten Datum erfolgen, wie das in Hamm üblich ist. Eine wesentlich höhere Wirkung würde sicherlich erzielt, wenn Sie im Anschluss an die Kontrollen die Ergebnisse veröffentlichen würden. Vor zu schnellem Fahren wird der Autofahrende wohl eher abgeschreckt, wenn Kontrollen und deren Wirksamkeit regelmäßig dokumentiert werden.

Ich möchte Sie daher bitten, die Veröffentlichungspraxis mit der Ankündigung von Überwachungsmaßnahmen zu überdenken und diese nicht mehr im voraus zu veröffentlichen. In der aktuellen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs­Ordnung (VwV­StVO) ist die „Vision Zero“ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schwerem Personenschaden) als Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen verankert. Erhöhen die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden, insbesondere von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden mit unangekündigten Geschwindigkeitskontrollen. Und der Vorwurf der Abzocke durch Autofahrende ist sowieso lächerlich. Niemand ist gezwungen mit überhöhter Geschwindigkeit durch eine Radarfalle zu fahren.

Mit freundlichen Grüßen
Walter Hupfeld

Antwort auf den offenen Brief vom 26.01.2023

Guten Tag Herr Hupfeld,

danke für Ihre Nachricht. Ich muss mich entschuldigen: Da derzeit einige Kolleg:innen erkrankt sind, kommen wir leider erst jetzt dazu, Ihnen zu antworten.

Wie Sie ja bereits selbst einräumen, beruht die Veröffentlichung nicht auf einer Entscheidung der Stadt, sondern wir sind nach den aktuell gültigen Verwaltungsvorschriften dazu verpflichtet. Neben der von Ihnen genannten Passage beinhaltet das auch VV 48.26. 

„48.26

Geschwindigkeitsüberwachungsmaßnahmen aus Gründen der Verkehrssicherheit sind entsprechend den Sach- und Personalressourcen vorrangig zu gewährleisten. Messstellen sind im Vorfeld mittels geeigneter Medien anzukündigen und zu veröffentlichen. Stationäre Messstellen auf Straßen im Sinne der Nr. 48.24 sind durch eine entsprechende Beschilderung anzukündigen.“

In der Sache ist darüber hinaus aber auch zu betonen, dass es sich bei den Ankündigungen lediglich um „Schwerpunkte“ der mobilen Geschwindigkeitsmessung handelt. Das kommunizieren wir in den Pressemitteilungen und auf hamm.de, lange Zeit hatten wir diese Passage auch in unserem Social-Media-Post und können sie auch gerne wieder aufnehmen:  

„Die Stadt Hamm weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei den angegebenen Standorten nur um einen Schwerpunkt der Maßnahmen handelt. Auch auf weiteren Straßen, Sonn- und Feiertags sowie zur Nachtzeit muss im gesamten Stadtgebiet mit Geschwindigkeitsmessungen gerechnet werden. Darüber hinaus können die angegebenen Standorte nur überwacht werden, sofern die örtlichen Gegebenheiten (zum Beispiel die Parksituation oder die Witterungsverhältnisse) es zulassen, die Überwachungsgeräte aufzubauen.“ 

Anders ausgedrückt: Unangekündigte Geschwindigkeitsüberwachung ist die Regel.

Ihre Darstellung, man schütze durch die Ankündigung „Raser“, da man sie auf die Geschwindigkeitsüberwachung hinweise und sie ansonsten an jedem Ort zu jeder Zeit ungestraft zu schnell fahren könnten, teilen wir vor diesem Hintergrund nicht.  

Übrigens bekommen wir über Social Media in Kontext mit der Ankündigung auch immer wieder Hinweise von Anwohner:innen, wo zu schnell gefahren wird, die die Kollegen bei der Einsatzplanung berücksichtigen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit einer Erläuterung der Umstände weiterhelfen und verbleibe mit freundlichen Grüßen,

Tobias Köbberling

Stadt Hamm 

Pressestelle 

Pressesprecher

E-Mail vom 26.01.2023

Quellen und Hinweise


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